Familie Mittelsten Scheid: Klinkenputzer und Staubfänger (2024)

Wuppertal - Treffen sich zwei Frauen in einer Bar, die eine Managerin, die andere Hausfrau. Fragt die Managerin spitz: "Und, was machen Sie so - beruflich?" Sagt die Hausfrau schneidig: "Ich führe ein sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen". Viel mehr passiert in diesem bisher einzigen Fernsehspot von Vorwerk nicht - und doch verknüpft der Wuppertaler Familienkonzern auf geschickte Weise mehrere Absichten.

Natürlich will sich Vorwerk in erster Linie bekannter machen. Wem fallen schon auf Anhieb neben den Staubsaugern und Teppichen noch weitere Produkte ein, die Vorwerk verkauft? Wer weiß schon, dass trotz Milliardenumsätzen auch Kosmetikartikel, Küchenmaschinen und Einbauküchen an den Mann und die Frau gebracht werden? Sogar Fertighäuser hat Vorwerk vor nicht allzu langer Zeit vertrieben - und die Wuppertaler sind mit gut 10 Prozent größter Einzelaktionär des amerikanischen Plastikdosen-Herstellers Tupperware.

Der Konzern will sich aber mit Hilfe des TV-Spots, ganz uneigennützig, gesellschaftspolitisch engagieren. "Millionen von Hausfrauen in Deutschland sollen endlich die verdiente öffentliche Anerkennung erhalten", heißt es aus der Marketingabteilung. Nicht zuletzt verweben die PR-Strategen geschickt die Marke Vorwerk mit dem Emblem Familienunternehmen. Damit ist ein erster Anfang gemacht, dass Vorwerk das Mauerblümchendasein verlassen könnte.

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Aus dem Hause Vorwerk
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Die bisherige Geheimniskrämerei der 17-köpfigen Unternehmerfamilie ist damit nicht ad acta gelegt, viel Staub soll weiterhin nicht aufgewirbelt werden. Genaue Finanzzahlen werden auch weiterhin nicht veröffentlicht. Doch der Kontrast zwischen beeindruckender Unternehmensgröße und dem Hang, sich klein zu machen, wird etwas verringert. Vorwerk beschäftigt weltweit über 45.000 Mitarbeiter und Vertriebspartner in mehr als 50 Ländern und erwirtschaftet insgesamt ein Umsatzvolumen von 1,6 Milliarden Euro - und ist damit einer der größten Familienkonzerne Deutschlands.

Die Söhne sind noch nicht reif fürs Geschäft

Söhne müssen sich erst außerhalb der Firma beweisen

Und im Gegensatz zu manch anderem Konzern hat Vorwerk derzeit allen Grund zur Freude: Inmitten von Konsumflaute und Konjunkturmisere verkauft Vorwerk so viele Haushaltsgeräte wie noch nie.

Das Sagen beim Konzern hat die Familie mit dem ungewöhnlichen Namen Mittelsten Scheid. Jörg Mittelsten Scheid - auf den Fluren kurz nur "Dr. Jörg" genannt - führt das Unternehmen seit 1969. Mit dem geplanten Rückzug des 68-jährigen Grandseigneurs Ende dieses Jahres wird erstmals ein Familienfremder an der Spitze stehen. Während der promovierte Jurist "Dr. Jörg" sich dann mehr dem Golfspielen widmen kann und aus dem Beirat einen mehr als prüfenden Blick auf das Tagesgeschehen werfen wird, soll Achim Schwanitz die Tradition weiterführen.

Der eigene Nachwuchs genießt keinerlei Privilegien

Schwanitz, so der Plan, soll dann auch alleiniger persönlich haftender Gesellschafter der Kommanditgesellschaft (KG) werden. Dass die Söhne aus der Familie Mittelsten Scheid noch nicht das Ruder übernehmen dürfen, hat einen ganz einfachen Grund. "Adäquaten Nachwuchs gibt es derzeit nicht", sagt "Dr. Jörg". Die Zöglinge bräuchten noch etwas Zeit, bevor sie ans Vorwerk-Steuer gelassen werden. Hinzu kommt: Der eigene Nachwuchs genießt keinerlei Privilegien was den Berufseinstieg bei Vorwerk angeht. Er muß sich erst außerhalb der Firma beweisen.

Mit Schwanitz hat sich Vorwerk 1993 zwar keinen ausgewiesenen Staubsaugerexperten geholt, dafür einen versierten Marketingmann und erfahrenen Konsumgüterexperten. Als Manager und später Deutschland-Chef von Jacobs Suchard belebte er die "Lila Kuh" von Milka wieder. Auch fiel in sein Verantwortungsgebiet der erfolgreiche Slogan "Die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt". Bei Granini schuf er als Vorstandschef den einfachen wie eingängigen Claim "Oh, Granini Trinkgenuss".

Schwanitz hat ihm Grunde derzeit eine dankbare Aufgabe. Vorwerk wächst nämlich momentan in einem schnellem Tempo, 2003 war das beste Geschäftsjahr der Unternehmensgeschichte. Aus den 1,2 Milliarden Umsatz (2003) sollen über zwei Milliarden 2004 werden. Dahinter steht allerdings nicht größtenteils organisches Wachstum, der Wachstumssprung ist der Einverleibung des amerikanischen Kosmetik-Direktvertriebs Jafra Cosmetics im Herbst vergangenen Jahres zu verdanken.

Aus der Krise wurden Lehren gezogen

Aus der Krise wurden Lehren gezogen

Angeblich hat der Kauf 250 bis 300 Millionen Dollar gekostet. Über Liquidität muss sich Vorwerk allerdings keine Gedanken machen: Mit einer Eigenkapitalquote von 50 Prozent - oder in absoluten Zahlen: 604 Millionen Euro - wird fast jedes bedeutende deutsche Unternehmen in den Schatten gestellt. Der Kauf von Jafra stärkte die internationale Position von Vorwerk, die ohnehin schon die Hälfte des Umsatzes im Ausland macht.

Sonnige Zeiten also. Unvergleichlich besser als damals, 1929, als die Wuppertaler fast ihre Fabrik schließen und den Gang zum Insolvenzrichter antreten mussten. Den Industriellen aus dem Bergischen Land - Vorwerk entstand aus einer 1883 von Carl Vorwerk gegründete Teppichfabrik - gelang es nicht, ihre elektrischen Handstaubsauger unters Volk zu bringen. Alle Hoffnung schien verloren, die Unternehmensfarbe Grün symbolisierte genau das Gegenteil. Doch aus der Not machten die "Vorwerker" vorausschauend eine Tugend: Der Direktvertrieb mit ausführlicher Erklärung ward geboren.

Also putzen zehntausende Vorwerk-Vertreter eifrig Klinken allüberall auf der Welt. Allein in Deutschland knapp 30.000 - auch Dank der Ich-AG-Gesetzgebung. Das Haustürgeschäft hat Vorwerk seit der Krise in den 30er Jahren zunehmend verfeinert - und mehr und mehr Geräte ins Programm genommen. Der Erfolg lässt sich sehen: In 11,8 Millionen deutschen Haushalten stehen Vorwerk-Geräte - alle an der Tür verkauft. 63 Prozent der ersten Vorwerk-Kunden kaufen wieder, meldet der Konzern. Kein Wunder, dass die Geräte nicht im Geiz-ist-geil-Konsumklima der Verbrauchermärkte angeboten werden, gegen die billige Konkurrenz aus Fernost hätten sie wohl keine Chance.

Die "Vorwerker" zeigen sich trotz der unvermeidlichen Globalisierung auch als wahrhafte Patrioten. Zwei Drittel aller Elektroprodukte kommen nach wie vor aus Wuppertal. Diese doch eigentlich erwähnenswerte Vorbildfunktion wird zwar nicht unter den Teppich gekehrt, allerdings auch - trotz der öffentlichen Diskussion um Arbeitsplatzverlagerung - nicht positiv erwähnt. Haben die PR-Strategen da eine Chance bisher ungenutzt gelassen?

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